Im Sinne des 11. Sozialgesetzbuchs (SGBXI) sind Personen dann pflegebedürftig, wenn sie aufgrund gesundheitlich bedingter Beeinträchtigungen in ihrer Selbständigkeit und ihren Fähigkeiten eingeschränkt und deshalb auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Es kann sich hierbei um körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen handeln. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, mindestens aber für sechs Monate, und mit einem gewissen Schweregrad bestehen (vgl. §§ 14,15 SGB XI).
Da die Ausprägung der Symptomatik bei Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) sehr unterschiedlich sein kann, unterscheidet sich auch der jeweilige Unterstützungsbedarf sehr stark. Meistens sind es nicht die körperlichen Beeinträchtigungen, die im Vordergrund stehen, sondern vielmehr Einschränkungen in der Selbständigkeit und der Bewältigung des Alltags, die eine Pflegebedürftigkeit bei Kindern mit ASS begründen.
Antragstellung
Um einen Pflegegrad für Ihr Kind zu erhalten, müssen Sie einen Antrag bei ihrer gesetzlichen oder privaten Pflegekasse stellen. Diese sind an die Krankenkassen angegliedert. Für die Antragstellung ist zunächst ein Anruf oder ein formloses Schreiben ausreichend. Ihre Pflegekasse wird Ihnen daraufhin ein Antragsformular zukommen lassen. Wenn Sie beim Ausfüllen Unterstützung benötigen, sind Ihnen ausgebildete Pflegeberater behilflich. Kontaktieren Sie diesbezüglich Ihre (gesetzliche) Pflegekasse, oder bei privater Versicherung, die Pflegeberatung Compass (https://www.compass-pflegeberatung.de/). Auch die örtlichen Pflegeberatungsstellen bieten hier ihre Hilfe an. Auf der Seite: https://www.pflegewegweiser-nrw.de/suche/beratungsstellen können Sie beispielsweise in NRW für Ihren Postleitzahlenbereich nach der nächstgelegenen Beratungsstelle suchen. Analoge Angebote gibt es auch in allen anderen Bundesländern.
Wenn Sie den vollständig ausgefüllten Antrag bei der Pflegekasse eingereicht haben, beauftragt diese den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) oder bei privat Versicherten den Medizinischen Dienst der privaten Krankenkassen (MEDICPROOF).
Ein speziell ausgebildeter Gutachter vereinbart dann mit Ihnen einen Termin und kommt zu einer persönlichen Begutachtung zu Ihnen nach Hause.
Vorbereitung der Begutachtung
Kinder mit einer ASS haben in der Regel einen deutlich höheren Betreuungsbedarf als neurotypische Kinder im gleichen Alter. Für Außenstehende ist dieser Unterstützungsbedarf jedoch nicht immer gleich ersichtlich. Es empfiehlt sich daher, sich mit Hilfe von Pflegeprotokollen/Pflegetagebüchern detailliert auf die Begutachtung vorzubereiten um alle wichtigen Aspekte möglichst realistisch darzustellen um die bestmögliche Unterstützung zu erhalten.
Beispielvorlagen für Pflegetagebücher zum Download finden Sie unter:
- https://www.familienratgeber.de/media/infomaterialien/downloads/familienratgeber-pflegetagebuch-sep19.pdf
- https://www.pflegeberatung.de/fileadmin/Beratung_und_Planung/Infomaterial/Medicproof_Pflegeprotokoll_22-Kinder_Ausfuellbar.pdf
Zusätzlich sollten Sie für den Begutachtungstermin alle wichtigen Unterlagen bereithalten.
Hierzu gehören beispielsweise Arztbriefe, Krankenhausberichte, Berichte von Kindertageseinrichtung oder Schule, Therapieberichte, Medikamentenplan sowie das gelbe Untersuchungsheft.
Diese Unterlagen helfen dem Gutachter dabei, sich ein möglichst umfassendes Bild von Ihrem Kind, seinen Fähigkeiten und seinem Unterstützungsbedarf zu machen.
Ablauf der Begutachtung
Für den Begutachtungstermin sollten Sie ausreichend Zeit einplanen um alle wichtigen Aspekte ausführlich besprechen zu können. Sorgen Sie dafür, dass die Begutachtung in ruhiger Atmosphäre und möglichst störungsfrei ablaufen kann.
Die Prüfung der Pflegebedürftigkeit erfolgt in der Regel durch Fachkräfte aus Pflege oder Medizin, die über ein umfangreiches Wissen über Erkrankungen und Behinderungen bei Kindern verfügen.
Um sich ein umfassendes Bild über den Unterstützungsbedarf des Kindes zu verschaffen, nutzt der Gutachter vorgeschriebene Beurteilungskriterien in sechs sogenannten Modulen.
Der Gutachter wird Ihnen verschiedene Fragen zur Entwicklung und zu den Fähigkeiten Ihres Kindes stellen und sich auch im spielerischen Kontakt mit Ihrem Kind einen eigenen Eindruck machen. Darüber hinaus wird er die von Ihnen bereitgelegten Unterlagen einsehen.
Alle Erkenntnisse des Begutachtungstermins werden in einem Pflegegutachten festgehalten. Abhängig vom Ausmaß der Beeinträchtigung der Selbständigkeit und der Fähigkeiten, wird der Pflegegrad nach einer festgelegten Methode errechnet. Bei pflegebedürftigen Kindern wird der Pflegegrad durch einen Vergleich der Beeinträchtigungen ihrer Selbständigkeit und ihrer Fähigkeiten mit altersentsprechend entwickelten Kindern ermittelt.
Eine Sonderregelung gilt für Kinder bis zum 18. Lebensmonat. Sie werden pauschal einen Pflegegrad höher eingestuft als ältere Kinder und Erwachsene, die bei der Begutachtung gleiche Punktwerte erreichen, um sicherzustellen, dass Kinder trotz ihres natürlichen Pflegebedarfs in diesem Alter einen angemessenen Pflegegrad erhalten.
Mögliche Schwierigkeiten bei der Begutachtung
Auch, wenn sie ansonsten viel Erfahrung mit Kindern haben, sind Gutachter nicht immer mit der speziellen Problematik des Autismus vertraut. Ein Aspekt, der oft unterschätzt wird, ist, dass Kinder mit ASS beispielsweise rein motorisch in der Lage sind, bestimmte Schritte der Körperpflege durchzuführen, so dass ein Gutachter zur Auffassung kommt, in dem Bereich (z.B. Zähneputzen, Toilettengang) liege keine Beeinträchtigung vor. Tatsächlich müssen die Eltern/Pflegepersonen aber dennoch viel Zeit und Engagement aufbringen, um das Kind zur konkreten Handlung zu motivieren, diese zu beaufsichtigen und teils sehr kleinschrittig zu steuern. Daraus ergibt sich dann trotzdem ein hoher, bei der Einschätzung des Pflegebedarfs zu berücksichtigender Zeitaufwand. Ähnliches gilt für die Begleitung bei Wegen zum Spielplatz etc., wenn das Kind nicht altersgemäß verkehrssicher ist. Machen Sie also deutlich, wieviel pflegerischer Aufwand auch dann nötig ist, wenn es nicht um die unmittelbare Übernahme einer Handlung, sondern um Motivation, Begleitung und Anleitung geht.
Widerspruch einlegen
Wenn Sie den Eindruck haben, dass der festgelegte Pflegegrad nicht den tatsächlichen Betreuungs-und Unterstützungsbedarf Ihres Kindes abbildet, können Sie innerhalb eines Monats (bei Fehlen der Widerspruchsbelehrung innerhalb eines Jahres) Widerspruch bei der Pflegekasse einlegen.
Ein Widerspruch darf nur durch den Pflegebedürftigen selbst bzw. seinen Bevollmächtigten erfolgen. Zunächst reicht es, einen kurzen, formlosen Widerspruch gegen den Leistungsbescheid einzulegen, mit Hinweis darauf, dass die Beweisführung zeitnah folgen wird. So können Sie einerseits die Frist von einem Monat einhalten und haben andererseits ausreichend Zeit den Widerspruch ausführlich und fachlich fundiert zu belegen. Hilfreich kann es hier sein, sich durch eine Pflegeberatung unterstützen zu lassen. Vereinbaren Sie hierzu zeitnah einen Termin in einer Pflegeberatungsstelle.
Nutzen Sie das Pflegegutachten als Grundlage für Ihren Widerspruch. Falls es Ihnen noch nicht vorliegt, können Sie es jederzeit bei Ihrer Pflegekasse anfordern.
Um bestimmte Umstände, die im Gutachten nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurden zu belegen, sollten Sie nochmals ein Pflegetagebuch führen, um Ihre Argumente zu stützen. Reichen Sie dieses zusätzlich zu weiteren Berichten, auch solchen, die nach dem Erhalt des Bescheids dazugekommen sind, bei der Pflegekasse ein.
Um den fristgerechten Eingang bei der Pflegekasse nachweisen zu können, sollten Sie den Widerspruch als Einschreiben mit Rückschein, oder als Fax versenden.
Leistungen
Wenn Ihrem Kind ein Pflegegrad zugesprochen wurde, hat es Anspruch auf verschiedene Pflegeleistungen, von denen wir hier einige vorstellen:
Pflegegeld
Ab Pflegegrad 2 kann ein monatliches Pflegegeld ausgezahlt werden, welches für die Betreuung und Versorgung zuhause eingesetzt werden kann.
Pflegegrad | Monatliches Pflegegeld |
Pflegegrad 1 | 0 € |
Pflegegrad 2 | 316 € |
Pflegegrad 3 | 545 € |
Pflegegrad 4 | 728 € |
Pflegegrad 5 | 901 € |
Entlastungsbetrag
Hat ihr Kind einen Pflegegrad und wird zuhause versorgt, hat es Anspruch auf einen Entlastungsbetrag von 125 € pro Monat.
Dieser monatliche Entlastungsbetrag kann für Angebote zur Unterstützung im Alltag eingesetzt werden. Dies kann beispielsweise die zeitweise Betreuung Ihres Kindes durch geschultes Personal bestimmter Einrichtungen (z.B. ambulante Betreuungs- und Pflegedienste) sein, um die Betreuungspersonen zu entlasten.
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
Um die Betreuung/die Pflege Ihres Kindes zuhause mit Ihrem Beruf vereinbaren zu können, sieht der Gesetzgeber für nahe Angehörige verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten vor. Im Rahmen der Pflegezeit: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/p/pflegezeit.html.de/service/begriffe-von-a-z/p/pflegezeit.html oder der Familienpflegezeit https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/aeltere-menschen/hilfe-und-pflege/die-familienpflegezeit-75714 /themen/aeltere-menschen/hilfe-und-pflege/die-familienpflegezeit-757 haben Sie, unter bestimmten Voraussetzungen, die Möglichkeit sich ganz oder teilweise für einen Zeitraum von bis zu 2 Jahren von der Arbeit freistellen zu lassen.
Lassen Sie sich zu Ihren Möglichkeiten, eine der genannten Pflegezeiten in Anspruch zu nehmen, in einer Pflegeberatungsstelle in Ihrer Nähe ausführlich beraten. Da nicht in allen Fällen der Versicherungsschutz für Kranken- und Pflegeversicherung über den Arbeitgeber bestehen bleibt, ist auch eine umfassende Beratung zur individuellen sozialen Absicherung während dieser Zeit wichtig.
Eine Übersicht aller Pflegeleistungen können Sie auf der Seite des Bundesgesundheitsministeriums in Form einer Broschüre kostenlos anfordern, oder die Möglichkeit zum Download nutzen: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/publikationen/details/pflegeleistungen-zum-nachschlagen.html